Wer als Urlauber nach Sardinien kommt hat azurblaues Meer, die karibischen Strände, die Costa Smeralda, Sonne und Leichtigkeit im Blick. Für die meisten spielt Sardinien damit auch nur im Sommerhalbjahr eine Rolle. Auch ich genieße natürlich die paradiesische Küste. Wer einmal einen Blick auf das ursprüngliche Sardinien werfen möchte, wissen möchte, wie es außerhalb des Sommerurlaubstourismus aussieht muss ins Inland reisen. Hier bekommst du ein Gefühl für das Leben auf Sardinien, die Traditionen und den Ursprung der sardischen Küche. Reise mit mir nach Oliena.
Auf diesen Ausflug habe ich mich schon lange riesig gefreut. Oliena liegt rund 10 km von Nuoro, der Provinzhauptstadt im Osten Sardiniens. Das kleine Bergdorf schmiegt sich an den Fuß des Monte Corras. Dahinter sorgt die Gebirgskette des Supramonte für eine raue Kulisse. Die sardische Küche ist eine eher rustikale, ehrliche Küche. Sie wird mit viel Handwerk hergestellt.
Wer im Urlaub die paradiesische Küste genießt, ist davon eher überrascht. Wer dann nach Oliena kommt, fängt an zu verstehen, warum die Gerichte doch eher deftig und nahrhaft sind. Schon von der Schnellstraße aus kommend verändert sich die Landschaft immer mehr, je weiter du von der Küste wegfährst. Es wird rauer, die Natur ursprünglicher. Von der Landstraße durchquerst du Felder und Olivenhaine. Je näher du dem Ort kommst entdeckst du, hier ist nichts herausgeputzt.
In Oliena erzählen die Murales die Geschichte Sardiniens
In Oliena sind nur wenige Touristen, das Stadtbild prägen die Einheimischen. Das sind Kinder auf ihren Fahrrädern und junge Sarden, die gestikulierend zusammenstehen. Aber vor allem sind es ältere Sarden, die über das schiefe, alte Kopfsteinpflaster im Zentrum schlurfen oder auf einer Bank neben einem Hauseingang sitzen. Ich entdecke bereits vom Auto aus einige der Wandgemälde, für die Oliena bekannt ist. Auf zahlreichen sogenannten Murales wird die sardische Geschichte erzählt.
Ich parke in der Nähe des historischen Altstadtkerns und starte meinen Spaziergang. Die Altstadt besteht aus unzähligen, kleinen verwinkelten Gassen mit altem Kopfsteinpflaster. Bei dieser Gelegenheit notiere auch gleich für deinen Besuch flaches Schuhwerk anzuziehen. Die Steine liegen nämlich durchaus auseinander und windschief auf dem Boden.
Da Oliena ein Bergdorf ist geht es rauf und runter. Auch wenn die Gassen eng sind, quetschen sich durch die meisten Straßen auch Autos. Ein kleiner Fiat passt häufig noch zwischen den Hausmauern hindurch. Die Atmosphäre, die ich hier spüre, ist eine ganz eigene. Ich fühle die Tradition, Folklore, altes Handwerk, echter Zusammenhalt und eine lange Geschichte. Mein Gefühl sagt mir, hier ticken die Uhren langsamer.
Hektik gibt es hier nicht
Ich folge den Geschichten der Murales, die an den Hauswänden erzählt werden. Sie sind in unterschiedlichen Zuständen. Manche sehen nach relativ frischer Farbe aus, bei anderen ist die Farbe verwittert und blättert ab. Die Geschichten zeigen das sardische Leben. Es geht um die Arbeit der Frauen, es geht um Krieg, um Armut, aber auch um sardische kulinarische Traditionen. Eine Wand erzählt beispielsweise die Geschichte des Pane Carasau, dem sardischen Brot. Aber nicht nur die Murales sind hier sehr präsent, auch die Kirche ist es. Gefühlt steht hier in jeder zweiten Gasse eine Kirche.
Hier ist nichts herausgeputzt
Was mir auch auffällt ist der Verfall. Im Kern der alten Straßen sehe ich viele zerfallene Häuser. Bei manchen fehlt ein Teil des Daches, andere sind komplett eingestürzt, teilweise sind die Fenster mit Brettern zugenagelt und manchmal sind sie auch einfach stark heruntergekommen. Es sieht so aus, als ob hier niemand mehr wohnt. Doch der Eindruck täuscht.
Hinter einer solchen brüchigen Fassade höre ich aus einem offenen Fenster im ersten Stock das Klappern von Küchengeschirr und Stimmen. In einer anderen Gasse höre ich hinter den Fenstern einen älteren Sarden singen. Ich bleibe einem Moment stehen und lausche den Klängen. Ob er zu den typischen sardischen Chören gehört, weiß ich nicht. Oliena hat hier musikalisch-traditionell einiges zu bieten, auch traditionelle Kostüme und Trachten gehören dazu. Damit aber jetzt kein falscher Eindruck entsteht: Es gibt auch neue Häuser oder gut erhaltene Häuserzeilen.
Auch ein genauer Blick in die Toreinfahrten in den etwas älteren Gassen lohnt. Hier geben einige wunderschöne grüne Innenhöfe einen Vorgeschmack auf die Juwelen, die sich in dem Viertel wohl im Inneren verbergen und für Außenstehende nicht sichtbar sind.
Ein Stück deutsche Heimat auf Sardinien
Auf dem Vorplatz einer der großen Kirchen ist heute Wochenmarkt. Überwiegend Obst- und Gemüsestände bieten regionale Produkte an. Ich nutze die Gelegenheit und versorge mich mit gelben und violetten Pflaumen, korsischen Birnen und Kirschen. Auch verschiedenen Auberginen, Landgurken und buntgemischten Tomaten, die hier direkt vor den Toren Olienas geerntet wurden, kommen in meine Tasche.
Mit meinen Einkäufen schlendere ich wieder bergan in Richtung Rathaus. Mein Blick bleibt an einer der Hauswände hängen. Ich finde tatsächlich ein Stück Deutschland in Oliena. Es ist sogar mein Heimatbundesland Hessen. Ich sehe ein großes Banner für eine Ausstellung von Marianne Sin-Pfältzer, die in Hanau geboren wurde. Die Fotografin dokumentierte weltweit Menschen und Landschaften in ihrer ursprünglichen Form. Sie erstellte eine Art Fotoreportage von deren Leben. Mit Sardinien hatte sie eine besondere Verbindung. Zu Letzt und bis zu ihrem Tod 2015 lebte sie im nahen Nuoro. Ihr zu Ehren gibt es noch heute in Deutschland und auf Sardinien verschiedene Ausstellungen ihrer Werke.
Entdecke die sardischen Köstlichkeiten
In Oliena und der direkten Umgebung findest du kleine Läden, Enotheken und Agritourismo, die die regionalen, sardischen Spezialitäten anbieten. Als Genussmensch kannst du hier beispielsweise einen tollen Rotwein entdecken. Auf Basis des berühmtem Cannonau steht Oliena für den Nepente di Oliena. Oliven und sardischer Schafskäse gehören auch zu diesem Ort. Mein Lieblings-Dolci, die Formagelle, mit rotem Safran heißen hier Casadinas.
Unbedingt probieren solltest du Seadas. Die zwingen dich garantiert in die Knie. Seadas sind frittierte Teigtaschen. Sie sehen aus wie Ravioli, sind mit Schafskäse gefüllt und mit Honig übergossen. Warm serviert ist das nicht einfach nur ein Genuss, es ist der Himmel auf Erden. Hier im Landesinneren fängst du an, diese Art der Küche zu verstehen und zu lieben. Sie kommt ohne ChiChi aus und katapultiert dich in den Genuss-Olymp.
Du verstehst, warum das bekannte Brot ein sehr haltbares Brot ist; warum die Pasta mit deftigen Sugo oder einem ganz einfachen Tomatensugo serviert wird. Du versteht mehr, was hinter den Malloreddus steckst oder die Tradition der Loringhitas. Das ist die ganz besondere Pasta, die es nur an Festtagen gibt. Dazu passend ein dunkler Rotwein, würziger Käse von den Schafen auf den Weiden vor den Ortseingängen oder die leckeren Dolci, die mit Handwerkkunst verziert werden. Ich stelle mir vor, wie die sardischen Hausfrauen mit ihren starken Armen den Teig kneten und alle diese Leckereien gemeinsam erstellen, die Schürze um, ein Kopftuch über den Haaren.
Mittagszeit in Oliena
Diese Atmosphäre möchte ich gern noch ein bisschen länger spüren. Ich suche mir in der Nähe des Rathauses in einer gemütlichen Kopfsteinpflastergasse ein Plätzchen im Außenbereich. Fix ordere ich mir einen Cappuccino, auch wenn das grenzwertig ist, da es auf 13 Uhr zu geht. Aber ich habe einfach jetzt Lust darauf.
Am Nebentisch sitzt ein deutsches Paar über ihren Reiseführer. Sie haben ihren Cappuccino bereits ausgetrunken und ziehen weiter. Am Tisch rechts von mir lassen sich zwei Frauen wieder, ein paar Jahre älter als ich. Sie bestellen einen Vino und ein Panini. Ein weinroter Fiat Panda, der schon bessere Zeiten erlebt hat, hält direkt am Tisch. Die beiden Insassen reden kurz mit den zwei Frauen, fahren dann ein paar Meter weiter und parken den Fiat an einer Hauswand. Ein lebhaftes Gespräch über Vino und Panini gebeugt startet nun am Nebentisch. Es ist Mittagszeit in Oliena.
Was die Region sonst noch bietet:
In Oliena sind Touristen zwar deutlich in der Unterzahl, aber es gibt dennoch Hotels und Ferienapartments. Besonders für Outdoor-Freunde gibt es hier nämlich viel zu entdecken. Das Gebirge bietet viele Wanderstrecken und Kletterrouten. Ganz in der Nähe startet die Tour ins Nuraghendorf von Tiscali. Dorgali und Nuoro sind nur wenige Kilometer entfernt. Das Meer ist ebenfalls nicht weit entfernt. Direkt hinter Dorgali locken die Traumstrände von Cala Gonone – nur eines der zahlreichen Möglichkeiten für Meergenuss.
Meine persönliche Empfehlung ist ein Besuch von Su Golognone. Es ist nicht nur einfach eine Quelle, es ist ein riesiges Waldgebiet zum Wandern, im Naturpark kannst du ein Kajak leihen und auf dem Fluss entlangpaddeln, es gibt Naturspielplätze für Kinder und vor allem gibt es viel Schatten. Ein perfekter Tipp also für heiße Tage, wenn man mal Abwechslung zum Meer sucht. Da ich auf den Meerblick einfach nicht verzichten kann und die Spaziergänge abends, begnüge ich mich mit Tagesausflügen in das Herz Sardiniens und komme immer gefüllt mit Glück zurück.
Du möchtest mehr auf den Spuren des ursprünglichen Sardiniens bleiben? Weiter im Norden kann ich dir den Lago di Liscina und die ältesten Olivenbäume, Olivastri Millenari, ans Herz legen. Meinen Bericht findest du hier.
Die ursprüngliche sardische Küche kannst du dir beispielsweise mit den Malloreddus nach Hause holen. Das Rezept dafür steht in diesem Beitrag.
Erlebe einen sardischen Abend mit mir: Ich bitte spezielle sardische Pastskurse an, bei dir ich nicht nur Pasta zeige sondern dir die sardische Küche und die wundervolle Landschaft näher bringe. Deine Terminanfrage kannst du hier stellen.