Mitten in den sardischen Bergen unweit von Nuoro steht mit Lollove eines der „Borghi più belli d’Italia“, der schönsten Dörfer Italiens. Im Oktober öffnen die 15 Bewohner ihre Höfe und laden im Rahmen des „Autunno in Barbagia‘ ein (Herbst in der Barbagia). Sie zeigen traditionelles Handwerk und Lebensweise aus der Region. Ich habe mich auf Entdeckungsreise in dieses Dorf und der typischen Köstlichkeiten aus Nuoro und den Bergen der Barbagia gemacht, denn mal ehrlich: Die beste Art traditionelles Essen einer Region kennenzulernen ist auf einem Dorffest.
Zugegeben, als ich mich an diesem Oktober-Samstag auf den Weg machte, war ich voll im Entspannungsmodus und offensichtlich nicht ausreichend vorbereitet. Es war schon Mittag, als ich von meinem Spot am Meer an Nuoro vorbei ins sardische Hinterland fuhr um mich von Lollove überraschen zu lassen. Und Lollove überraschte.
Als ich von der Schnellstraße auf die Landstraße abbiege, erwartet mich ein kreatives Chaos aus kreuz und quer geparkten Autos an der Landstraße. Meine Nachfrage an der Straßensperrung bestätigt es, ich bin hier richtig. Also heißt es Auto abstellen und mit dem kleinen Zubringerbus weiterfahren. Alles kostenlos. Ich versenke also auch mein Auto wie alle anderen im wilden Grün des schmalen Seitenstreifens und rumple mit dem Minibus durch die unbefestigte, enge und kurvige Straße hinauf ins Bergdorf.
Mein Herz schlägt direkt beim Aussteigen Purzelbäume. Der Bus spuckt uns am Anfang der Festmeile aus und der erste Stand ist ein handwerklicher. Mein Blick fällt auf den von mir bereits heiß gesuchten Scivedda sarda – eine Tonschale beispielsweise für die traditionelle Herstellung von Fregula. Nachdem ich bisher kein Geschäft ausmachen konnte und zuletzt die Onlineshopbestellung in Scherben den Weg zu mir nach Deutschland fand, sicherte ich mir gleich mein Exemplar. Keine Sorge, diesmal schaffte es die Schale von mir persönlich transportiert heil nach Deutschland.
Ein winziges Bergdorf mit 15 Einwohnern verzaubert mich
Lollove ist ein winziges Bergdorf aus zwei Straßen und ein paar schmalen Quergassen zwischen den Häusern. Mal unbefestigt, mal durch grobes Kopfsteinpflaster bietet sich eine besondere Atmosphäre. Die Häuser sind teilweise verfallen. In diesem Moment bin ich erstmal überrascht.
Erst im Nachgang erfahre ich, dass tatsächlich nur noch 15 Menschen hier leben. Sie setzen sich intensiv dafür ein, dass Lollove keine Geisterstadt wird. Umso wichtiger ist die Aufnahme zu den borghi più belli d’Italia Anfang des Jahres. Und tatsächlich ist es das auch. Dieses Dort verzaubert mich und fängt mich wahrhaft aus der Zeit entrückt ein.
Ich lasse mich vom Hauptweg mit seinen zahlreichen Ständen in die kleinen Ecken und Seitenwege treiben und genieße meinen kleinen Spaziergang durch die verwunschenen Gassen. Mein Weg führt mich entlang an liebevoll gestalteten Häusern und Gärten. Dazwischen stehen die Geisterruinen der weggezogenen Dorfbewohner. Ein charmantes Dörfchen mit ebenso charmanten Bewohnern, die ein Besuch auch außerhalb des Festes wert ist.
Die Atmosphäre ist verwunschen und geheimnisvoll
Wenn du dieses vergessene Dorf besuchst, wirst Du von seiner Atmosphäre tief berührt. Zumindest ging es mir so – und dass trotz vieler Menschen auf dem Dorffest. Ich stehe einen Moment etwas weiter oben mit Blick auf das Dorf, setze mich auf einen Mauerrest und schaue auf das Treiben. Trotz des Gewusels kann ich mir zumindest etwas die Stille vorstellen, die hier sonst herrschen muss.
Wie muss das Leben der 15 Bewohner wohl sein? Welche Geheimnisse und Anekdoten verbergen sich hinter den Hausmauern? Es gibt eine Kirche, ein Minimuseum und ein Agriturismo – keinen Supermarkt, keine Schule, keinen Arzt, keine Kneipe oder ähnliches. Die Atmosphäre ist verwunschen, geheimnisvoll und irgendwie einzigartig. Die Zeit ist einfach stehengeblieben. Das überträgt sich auch auf mich an diesem Nachmittag. Zeit hat keine Bedeutung.
Das Dorf windet sich in den Hängen bergauf und ist eingebettet in wundervolle Natur. Hier lässt sich herrlich spaziergehen, wandern und biken. Zurück in die Hauptwege, Höfe und offenen Türen erkunde ich das Handwerk, das Leben der Dorfbewohner und natürlich das regionale Essen.
Ein Bummel durch die Handwerksangebote
Rund um die Kirche bummle ich durch die Handwerksstände. Ich lasse mir die Herstellung der wunderschönen typischen Textilwaren wie Handtücher, Tischtücher, Teppichen und vielem mehr per Hand im Holzwebrahmen zeigen. Von diesen habe ich bereits einiges zu Hause. Im kleinen Museum bekomme ich mit den liebevoll eingerichteten Beispiel-Haus einen Einblick in das traditionelle Leben in diesem Bergdorf in früheren Jahren.
In den Höfen kann man regionale, typisch sardische Gerichte und Getränke probieren.
Hinreißend untermalt wird mein Eintauchen in den Streedfoodbereich von den sardischen Klängen von Stefania Deluigi Branca. Die Sängerin stammt aus der Region und begleitet sich mit ursprünglichen Musikinstrumenten rund um Nuoro.
Was an diesem Tag definitiv zu meiner Wohlfühlatmosphäre beiträgt, sind die vielen Höfe, in denen die Degustationen stattfinden. Ich kann verschiedene Weine testen, natürlich bestehend aus dem tiefroten Cannonau und frischem Vermentino de Sardegna.
Ob bei regionalen Anbietern oder in nichtetikettierten Flaschen, die Auswahl ist reichlich. Das gilt auch für den legendären Mirto in der roten und weißen Sorte. Der sardische Likör schmeckt wunderbar zu den regionalen Käsesorten und Salsicce. Die tolle Atmosphäre, der Vino und das Essen machen mich schon jetzt glücklich.
Natürlich gibt es auch die bekannten Pastagerichte wie Malloreddus. Diese lasse ich jedoch links liegen und koste das Pane Lentu. Das Pane Lentu ist als Basis das Pane Carasau-Brot. Es wird nur gebacken und nicht noch mal im Ofen geröstet. (Das Rezept für Carasu findest Du hier, einfach den zweiten Schritt weglassen).
Das Pane Lentu wird hier auf dem Grill kurz angewärmt und wahlweise con pecora oder con asino – mit Schaf oder mit Asino-Käse – gefüllt und gerollt. Solltest Du verwundert über das Schaf sein: Da die Insel eine der größten Schafaufkommen hat, gibt es nicht nur leckeren Köse und Milchprodukte, sondern auch Schaf. Insbesondere Lamm findet sich auf den Speisekarten der regionalen Restaurants.
Mein absoluter Streetfood-Tipp: Pane Lentu con asino
Ich entscheide mich für die Variante mit Käse und werde nicht enttäuscht. Ich kann es kaum erwarten, während ich bei der Zubereitung auf dem Grill zusehe. Ich schmecke noch heute diesen aromatischen-gegrillten. dahinschmelzenden Käse, verfeinert mit Honig in diesem leckeren gerollten Brot. Ich bekomme schon wieder Hunger bei dem Gedanken daran.
Dieser erste Bissen, dieses warme, fluffige Brot, dieser dahingegossene Käse mit den Nuancen aus Reife und der Süße des Honigs. Dieses gerollte Pane lentu ist mein ultimativer Tipp für Dich in der Region Nuoro, Oliena, Orgosolo, Dorgali!
Ein weiteres sehr leckeres Brot ist paneddas. Wäre ich nicht ganz so tiefenentspannt und bereits am Vormittag hier gewesen, hätte ich sogar bei der Herstellung dieses Brotes zusehen können. Paneddas ist ein kleines Fladenbrot, welches typisch für die Barbagia ist.
Tipp Nummer 2: Seadas – mein Lieblingsdolci
Dass ich am Seadas Stand nicht vorbeigegangen bin, dürfte Dich nicht mehr überraschen. Seadas gehören zu meinen absoluten Lieblingsdolci und diese hier bestätigen mir auch mal wieder, warum. Diese selbsthergestellten im heißen Fett ausgebackenen kleinen Teigtaschen mit geschmolzenen Schafskäsekern und mit sardischem Honig überzogen sind einfach nur himmlisch. Es wärmt meine Seele und mein Herz. Ich feiere jeden Bissen.
Was mir bei meinem Spaziergang durch das Dorf und die kleinen Ausläufer auffällt, sind die vielen prallvollen Obstbäume. Neben den Granatäpfeln begeistern mich vor allem die vielen Mela Cotogna-Bäume, die hier auf Sardinien insgesamt sehr zahlreich vertreten sind. Die sardischen Quitten kann man tatsächlich wohl roh essen, aber vor allem in Marmeladen, oder karamellisiert als Verfeinerung zahlreicher Gerichte oder in Kuchen. Zu guter Letzt also hüpft neben einem Beutel Maronen auch noch ein Beutel der Quitten in die Tasche.
Reich im Herzen und mit leckeren Produkten – und natürlich meiner Terrakottaschale – steige ich glücklich wie ein Honigkuchenpferd grinsend zurück in den Bus und meinem Auto.
Wenn Dich mein Beitrag neugierig gemacht hat auf diesen kleinen Schatz im sardischen Hinterland, habe ich noch die Rahmeninfos für Dich:
Wie komme ich hin:
Lollove liegt ca. 20 km von Nuoro entfernt. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist es vermutlich nicht möglich, mit dem Auto kannst Du Lollove aber ganz einfach erreichen. Folge auf Höhe von Nuoro auf der SS 131 ab der Ausfahrt Lollove einfach der weiteren Beschilderung. Wenn du nicht wie ich im Rahmen des Herbstfestes unterwegs bist, kann Du auch direkt ins Dorf hochfahren und am Ortseingang parken.
Schlafen in Lollove:
Wenn Du jetzt völlig begeistert bist von dieser Ruhe, völligen Abgeschiedenheit und Tradition habe ich eine phantastische Nachricht. Du kannst tatsächlich in Lollove übernachten. Das Agriturismo Lollovers bietet zudem auch Exkursionen in der Umgebung und Koch- und Backkurse wie beispielsweise frische Pasta oder Paneddas.
Wenn Dich dieser Beitrag begeistert, sind vielleicht auch mein Ausflug in die sardischen Berge auf den Spuren des Ziegenricottas für Dich oder wie wäre es mit meinem Bericht aus Oliena?
… als wir dort waren, gab es einfach nichts. Außer 3 PKW und ein Motorrad haben wir nur leere Straßen und Wege gesehen.
Besuch lohnt wohl nur wenn eine Veranstaltung stattfindet.
Lieber Peter, ganz lieben Dank für Dein Feddback. Sehr schade, dass der Charme von Lollove nicht überspringen konnte. Ich kenne natürlich Deine Erwartungen an Deinen Ausflug nicht. Bei den beschriebenen 15 Einwohnern, zwei Straßen und keinerlei Geschäfte oder ähnlichem, Ruinen zwischen den liebevoll bewohnten Häusern und der Tendenz zur Geiterstadt, können die Straßen nicht belebt sein. Genau das ist aber das Leben Sardiniens. Das sardische Leben findet genau hier statt, in den Bergdörfern, manchmal verweist, eher etwas beschwehrlich, aber mit Charme, mit Herzlichkeit und Wärme, mit atemberaubender Natur (rund um Lollove warten zahlreiche Wanderwege) und unglaublich guter, aber rustikaler, Küche. Lollove zeigt genau das alles und bewahrt es für uns. Damit wir dieses Leben selbst erfahren und die Geschichte atmen können. Sardinien im Ursprung ist nicht das Jetsetleben an der Küste. Es lohnt aus meiner Sicht vor allem ausserhalb des Festes. Das super schön ist, aber da sind die Straßen eben komplett voll und man drängt sich durch die Gassen – so ist Lollove in den 364 Tagen nicht.