Das Pane Carasau ist auf Sardinien fester Bestandteil auf dem Tisch. Egal ob Du im Ristorante beim Abendessen bist oder beispielsweise beim Aperitivo, das hauchdünne, knusprige Brot wird nicht fehlen. Es ist aber so viel mehr als nur ein Brot auf dem Tisch. Ich durfte in Dorgali, der Ursprungsregion, in einer privaten Backstube bei der Herstellung dabei sein.
Seit meinem ersten Besuch auf Sardinien hat es mir dieses besondere, allgegenwärtige Brot angetan. Die Geschichte dazu und die traditionelle Herstellung begann mich immer mehr zu interessieren und natürlich auch das Rezept. Ich war also bei meiner Reise im Mai und Juni auf der Suche nach einer Person, die dieses Brot traditionell backt. Als ich von Presede eingeladen werde, bin ich mal wieder mit Glück gesegnet. Da sitze ich in der Ziegenhütte beim Ricotta machen und bekomme die große Ehre, Presede und ihre Mutter an einem anderen Tag in Dorgali zu besuchen und die Beiden beim Backen zu begleiten.
Für mich ist das wirklich eine große Ehre – einerseits, weil mich diese lieben Menschen in ihrem Zuhause willkommen heißen und andererseits, weil es nicht irgendeine Brotherstellung ist. Pane Carasau hat eine jahrtausendalte Geschichte und sie fängt in der Barbagia an – genau hier in Dorgali und der Umgebung bis nach Oliena und Nuoro. Und genau hier darf ich nun beim Brot backen auf ganz traditionelle Weise dabei sein.
Ich darf in der Ursprungsregion lernen – in den Bergdörfern der Barbagia
Die zentrale Region im sardischen Hinterland, Bergdörfer wie Dorgali, Oliena, Orgosolo, Nuoro oder Urzulei, ist das ursprüngliche Sardinien. Es ist das Herz der sardischen Küche. In diesen alten, kleinen Orten mitten im Gebirge bekommst Du eine Ahnung vom Leben auf Sardinien und seiner Geschichte.
Neben Dorgali ist auch Oliena bekannt für seine Brotgeschichte. Eine Frau aus Oliena fängt beispielsweise bereits nachts um zwei Uhr mit Backen an, so dass das Brot dann frisch am Morgen in den Verkauf gehen kann, auch wenn es viele Monate haltbar ist. An einer der Häuserwände finde ich auch eines meiner Lieblings-Murales dort. Dieses Bild berührt mich sehr. Ein anderer wichtiger Ort der Brotbackgeschichte Sardiniens ist Orgosolo. Orgosolo ist ein bekannter Ort für seine zahlreichen Murales. Hier gibt es im Ortskern aber auch ein Brotmuseum, in dem Du ebenfalls die Geschichte des Pane Carasau lernen kannst.
Die Geschichte des Hirtenbrots Pane Carasau fängt vor Jahrtausenden an
Die Überlieferung sagt, dass das Pane Carasau bereits in der Nuraghe-Kultur geboren wurde. Es gehört damit zu einer der ältesten Brotsorten. Es besteht aus ganz einfachen Zutaten: Semola, Wasser, etwas Salz und Hefe. In einigen heutigen Rezepten ist die Zugabe von Weichweizenmehl enthalten, dies entspricht jedoch nicht der ursprünglichen Version aus der Barbagia. Die Herstellung braucht wie viele Gutes und Traditionsreiches: Zeit. Die Kultur des Pane Carasau spiegelt das einfache und eher ärmere Leben wider. Aber genauso wie heute das Pane Carasau auf jedem Tisch auf Sardinien allgegenwärtig ist, gehörte das Brot auch schon früher zum Tisch und zur Gastfreundschaft dazu.
Das Pane Carasau ist das klassische Brot der Hirten. Durch die Zutaten und den Backprozess ist dieses Brot sehr lange haltbar. Perfekt also um es den Hirten mitzugeben, wenn Sie in das Gebirge von Gennargentu und Supramonte loszogen und viele Wochen wegblieben. Später diente es auch den Fischern als Nahrung, wenn sie aufs Meer hinausfuhren.
Heute ist es vor allem die Begleitung von Antipasti, zu sardischem Pecorino und Schinken oder Wurst, Oliven und als Pane im Brotkörbchen zu Tisch. Es gibt jedoch auch einige Rezepte mit diesem Schatz der Antike wie etwa eine Lasagne – statt der Pasta werden Pane Carasau als Platten genommen oder als Cannoli. Bei diesem dolce wird der Teigteil des sizilianischen Originalrezeptes durch das Pane Carasau ersetzt und zum dolce sardo. Das Hirtenbrot mag schlicht sein, es mag wenige Zutaten haben und doch ist es sehr geschmackvoll und einfach herrlich knusprig.
Seit Jahrhunderten wird das Pane Carasau in den Küchen von den Sardinnen gemeinsam im Feuerofen gebacken. Ähnlich wie beim Pastamachen, ist auch dies ein kulturelles Ereignis. Es wird gemeinsam Teig geknetet, gewartet, gebacken und dabei gequatscht, gelacht und gelebt. Ich darf an diesem heißen Junitag Teil dieser Zeremonie sein.
Zu Besuch in Dorgali
Im Herzen von Dorgali öffnet mir an diesem späten Juni-Nachmittag Presede die Tür ihres Hauses und führt mich in die Backstube. Im Zentrum dieses Raumes steht natürlich der Steinofen, in dem bereits das Feuer brennt. Davor aber sitzt das eigentliche Herz der Küche: auf einem Schemel sitzend heißt mich Presedes Mama herzlich willkommen. Gemeinsam stellen die Beiden auf ganz traditionelle Weise und seit vielen, vielen Generationen und damit Jahrzehnten Backwaren wie beispielsweise das Pane Carasau her.
Presede und ihr Mann Antonio bieten auf ihrer Ziegenfarm in den Bergen Refugio buchi arta Verköstigungen ganz nach Hirtenart an. Die Produkte entstehen hier in dieser Küche. Am Folgetag hat sich eine große Gruppe angekündigt, für die wird hier fleißig produziert und ich darf über die Schulter schauen. Während Presede und ihre Mama fleißig sind, lasse ich erstmal meinen Blick schweifen und den Eindruck auf mich wirken. Die Familientraditionen erkenne ich im ganzen Raum. An der Wand hängen alte Körbe. Fotos zeigen die Frauen der Familie von mehreren Generationen in dieser Küche beim Backen. Es ist eine heimelige Atmosphäre, aber auch eine heiße. Während draußen mehr als 30 Grad herrschen ist es drinnen mit dem offenen Feuer nicht kühler.
Sorgältiges Arbeiten und viel Zeit entscheiden über den Erfolg
Das Teig ansetzen habe ich leider verpasst. Bereits in den frühen Morgenstunden haben sie den Teig geknetet. Er besteht aus Semola, Hefe, Wasser und Salz. Natürlich wird nur ein sardisches Semola von ausgewählter Qualität verwendet. Nach dem Kneten wird der Teig in Ballen geformt und muss mehrere Stunden ruhen. So kann die Hefe arbeiten und der Gärprozess gerät in Gang. Besonderes Geschick – und bei diesen Mengen auch Ausdauer – ist beim Ausrollen gefragt. Jedes einzelne Brot wird hauchdünn mit dem Mattarello gerollt. Dabei darf der Teig keine Falten schlagen. Er muss sauber und glatt und eben wirklich hauchdünn gerollt werden. Das bedarf sorgfältiges Arbeiten. Alles ist hier Handarbeit.
Die flachen Teigplatten werden geschichtet. Damit sie nicht zusammenkleben wird über jede Schicht ein Leinentuch gedeckt und alles in Folie noch einmal eingeschlagen. Dies ist bereits erfolgt, als ich die Backstube betrete. Jetzt ruht der Teig noch einmal. Ich bin schon jetzt unfassbar beeindruckt von der Arbeit, die hinter den Beiden liegt. Stundenlang stehen die Beiden und haben dennoch die Ruhe weg. Konzentriertes Arbeiten wechselt sich mit Unterhaltung und natürlich auch Lächeln in den Gesichtern ab. Ich blicke in das, was das Herz der sardischen Küche ausmacht.
Gutes Pane Carasau zu Hause backen ist schwierig
Während bis hierhin auch ich als „normale“ Alltagsköchin in meiner Küche die Handgriffe später zu Hause nachmachen kann, kommt jetzt der brenzlige Teig. Apropos brenzlig, das Feuer brennt unermüdlich im Steinbackofen. Ich vermute mal, die Hitze ist über 350 Grad. Diese Temperatur gibt mein Haushaltsbackofen nicht her. Ich kenne dies von der Pizza. Selbst auf einem Pizzastein wird mein Pizzateig in diesem Backofen nicht so sensationell knusprig wie beispielsweise in einem Gasgrill. Dieser Steinbackofen schlägt den Haushaltsofen um Längen. Und so ist es auch beim Pane Carasau. Ein Brot von Hand gemacht und im offenen Feuerofen gebacken – muss ich noch mehr sagen? Mir läuft schon jetzt das Wasser im Mund zusammen.
Der WOW-Effekt: ein magischer Moment in der Küche
Jetzt kommen der absolute magische Moment und mein ganz persönlicher Wow-Effekt: Presede nimmt den ersten Teiglappen, legt ihn auf den Holzschieber und deckt sofort den Turm mit den weiteren ausgerollten Teigstücken gut ab. Das ist wichtig. Der Teig darf nicht austrocken und muss schön warm bleiben, damit die Magie auch wirklich arbeitet. Routiniert schiebt Presedes Mama den Teig mit dem Schieber ins Feuer. Attenzione. Es dauert nur wenige Minuten.
Gebannt gucke ich ins Feuer, als dieser absolut flache Fladen anfängt, wie von Zauberhand aufzugehen. Er geht aber nicht einfach nur so ein bisschen auf, nein er bläst sich wie ein Ballon – wie ein Kissen – auf. Hauchdünn, faltenfrei und riesig. Wow, was für eine Show. Ich bin völlig fasziniert. Meine Augen leuchten bestimmt wie die funkelnde Sonne. Ganz ehrlich: Ich futtere seit Jahren dieses Brot und wäre nicht im Traum darauf gekommen, dass es im Backvorgang so aussieht.
Presedes Mama dreht routiniert und ohne das Teig-Kissen zu beschädigen den Fladen und – zack – holt es auch schon raus. Genauso schnell wie der Teig sich aufbläst, fällt er auch wieder zusammen. Der nächste Teigfladen kommt schon wieder auf den Schieber und der Zauber im Feuer fängt wieder von vorne an. Ein köstlicher Duft von frisch gebackenem, rustikalem und garantiert aromatischem Brot erfüllt den Raum.
Pane Carasau wird zweimal gebacken
Pane Carasau wird zweimal gebacken. Nur so bekommt es seine Knusprigkeit und sein rustikales Aroma. Das gebackene Brot ist also noch nicht fertig. Meine Gedanken tanzen schon jetzt Tango – was muss ich tun, um genau dieses Ergebnis zu Hause zu bekommen? Die Antwort ist nicht so einfach. Ich konzentriere mich wieder auf das Hier und Jetzt. Jetzt geht’s hier wirklich Hand in Hand. Ausgerollte Teigfladen auf den Schieber, ab ins Feuer und wieder raus – dazwischen erfolgt schon die Weiterverarbeitung.
Presede schneidet mit einem großen, sehr scharfen Messer entlang der Ballonnaht des frisch gebackenen Brotes und teilt es so in zwei Brotstücke. Hierbei zeigt sich schon wie wichtig ein glattes, gleichmäßiges Ausrollen der Teigstücke ist und auch das gleichmäßige Aufgehen im Ofen. Die klare Struktur des späteren Pane Carasau, welches an ein Pergamentpapier erinnert und auch als Carta di musica – Notenpapier – bezeichnet wird, ist deutlich. Hast Du zu Beginn nicht sorgfältig beim Ausrollen gearbeitet oder ist Dein Teig nicht so aufgegangen, ist dieser Schritt nicht möglich und auch die Struktur Deines Brotes ist anders.
Jetzt folgt die zweite Runde für das Brot: Das Rösten. Das gibt dem Brot auch den Namen. Carasadura – Rösten ist abgeleitet das Carasau. Jedes einzelne Brot wird noch einmal auf den Holzschieber gelegt und für wenige Sekunden im Feuer geröstet bis es knusprig ist und eine schöne warme Bräunung hat. Jetzt ist es fertig, kann auskühlen und dann verpackt werden. Jetzt ist es das Pane Carasau wie ich es kenne.
Das Ergebnis: ein köstliches, aromatisches Brot
Ich darf natürlich frisch und warm naschen und kann euch verraten, frisch geröstet aus dem Ofen ist so richtig lecker. Grund genug sich seinen eigenen sardischen Brottraum in die Küche zu holen. Viele Stunden und Handgriffe später ist dieses einzigartige Brot fertig und reiht sich in die sardische Kultur der zahlreichen hervorragenden von Hand gemachten Produkte ein.
Zu meinem großen Glück packt mir Presede ein kleines Päckchen, so dass ich etwas von diesem Schatz mit in meine Ferienwohnung nehmen darf und gemeinsam mit einem Glas tiefrotem Cannonau in der sardischen Bergluft meines Balkons genieße.
Das Originalrezept und meine nicht ganz optimalen bisherigen Erfahrungen aus der Heimküche gebe ich Dir im folgenden Beitrag weiter. Sofern Du ebenfalls nur einen alltäglichen Haushaltsbackofen hast, wird dir zwar eine geschmackvolle Variante des Pane Carasau gelingen, Du musst vom Original jedoch ein paar Abstriche hinnehmen.
Vielleicht bist Du auch schon mal über das Pane Guttiau gestolpert. Dies Basis der beiden Brote ist gleich, bei der Herstellung des Pane Guttiau wird jedoch noch Olivenöl und Salz mitverarbeitet.
Mehr zum Hinterland Sardiniens findest Du bei meinem Besuch in Oliena und in Nuoro um das legendäre Su Filindeu zu lernen. erfahren.
Sardische Pastarezepte habe ich mehrere für Dich. Eine kleine Auswahl sind die Malloreddus, die Cicioneddos oder die Macaronnes.
Wenn Du das sardische Hirtenleben und die guten selbstgebackenen Produkte mit Presede und Antonio erleben möchtest, dann schaue einmal auf deren Website vorbei: https://www.rifugiocuilesbuchiarta.com/
Liebe Stefanie,
ich würde gerne an Pane Carasau heranwagen. Hast Du noch das original Rezept? Soweit ich weiß, wird es mit Sauerteig gemacht, richtig? Ist es „normaler“ Sauerteig oder Lievito Madre?
LG aus Bad Honnef
Gerd
Lieber Gerd, das Rezept liegt auch auf dem Blog, schau mal hier: https://fraufritzsche.de/rezept-pane-carasau/ Allerdings ist es auch schon älter und der Teig ist damals nicht so gut aufgegangen. Das Originalrezept sieht „Lievito di birra“ vor, ich habs mit frischer Hefe gemacht. Erzähle mir gern mal, wie es Dir gelungen ist, solltest Du mein Rezept probieren.